Expertengespräche „Mitten in Geschichte“

(IV) „Anpassung oder Revolution“ / Philipp Staab & Joseph Vogl im Gespräch mit Jens Bisky über Leitmotive gegenwärtiger und künftiger Gesellschaften
Mitten in Geschichte“ lautet das Motto der Spielzeit 23/24. Wir sind mittendrin in Geschichte, die jetzt verhandelt und gestaltet wird. Dabei haben die zurückliegenden Monate deutlich gemacht, wie sehr die Gegenwart bestimmt wird durch die Vergangenheit — ob wir das wollen oder nicht. Und ebenso legen die Debatten und Entscheidungen unserer Gegenwart auch das Fundament für die Zukunft.
Gegenwart und Vergangenheit kurzzuschließen, die Verbindung zur Vergangenheit aufrecht zu erhalten und gleichzeitig Blickrichtungen für die Zukunft zu nehmen, ist das Thema vieler Produktionen dieser Spielzeit – und wir wollen es auch in der begleitenden Gesprächsreihe diskutieren.
Blickwinkel können sich verändern. Die Erfahrungen der Gegenwart verändern den Blick auf die Vergangenheit und auf das, was uns wichtig vorkommt oder was zuvor vielleicht übersehen wurde. Was kann uns die Vergangenheit erzählen, und wie wandelt sich das? Was erzählt die Vergangenheit dabei über uns? Und wie gelingt uns die Zukunft?

Zwei Produktionen eröffnen die Spielzeit auf der Großen Bühne: „Cabaret“ und „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“. Stücke, die aus sehr verschiedener Perspektive und mit sehr unterschiedlichem Zugriff jeweils die 1930er Jahre in Deutschland in den Blick nehmen. „Cabaret“ feiert als Tanz auf dem Vulkan eine Liberalität, die dann bald untergehen wird – und erzählt im Kontrast die scharfen sozialen und politischen Gegensätze, die diesen Untergang beschleunigten. Der Autor Christopher Isherwood wurde dabei von eigenen Erlebnissen im Deutschland der frühen 30er Jahre geprägt.
Bertolt Brechts „Ui“, 1941 im norwegischen Exil entstanden, ist die bitterböse Parabel des Aufstiegs eines Chicagoer Kleinganoven zum Diktator – ermöglicht durch die Unterstützung des Verbandes des Chicagoer Blumenkohlhandels. und ermöglicht durch Druck und Terror und Gewalt.
Diese beiden Produktionen bilden das Feld, in dem der Publizist Jens Bisky („Mittelweg 36“ / Hamburger Institut für Sozialforschung) in einer neuen Gesprächsreihe das Motto der Saison vertiefen wird – mit Gästen, die eine besondere Expertise für die Themen dieser Spielzeit haben.
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(I) Harald Jähner

„Höhenrausch“
Am 30. Oktober um 20:00 im Foyer 1
Mit „Höhenrausch. Das kurze Leben zwischen den Kriegen“ hat der Autor und Journalist Harald Jähner jüngst eine eindrucksvolle Biographie der 20er und 30er Jahre vorgelegt – ihrer kulturellen Aufschwünge, ihrer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verwicklungen, und ihrer stufenweisen politischen Entwicklung hin zur NS-Herrschaft. Mit Harald Jähner blicken wir in die Jahre der Weimarer Republik und wieder zurück in unsere Gegenwart.

Für seinen Blick auf die deutsche Nachkriegszeit, „Wolfszeit“, hatte Harald Jähner 2019 den „Preis der Leipziger Buchmesse“ in der Kategorie Sachbuch und Essay zugesprochen bekommen.

(II) Karin Wieland

„Inszenierungen der Neuen Frau“
Am 17. November um 18:00 in der Diskothek
Die Weimarer Republik versprach nicht zuletzt den Frauen Modernisierung und Emanzipation. Die Autorin Karin Wieland portraitierte in ihrer Parallel-Biographie „Dietrich & Riefenstahl. Der Traum von der neuen Frau“ zwei prominente Lebensläufe, die im Deutschland der Weimarer Republik fast zeitgleich ihre Karriere starteten: Leni Riefenstahl und Marlene Dietrich, deren Wirken im Kulturbetrieb jeweils weite, aber völlig entgegengesetzte Auswirkungen und Verflechtungen hatte ins Politische und Gesellschaftliche.
In „Das Geschlecht der Seele“ hat sich Karin Wieland der „Erscheinung der modernen Frau“ gewidmet – wie sie sich in den Jahren 1880 bis 1930 nicht nur in der Literatur ausprägte, sondern vor allem auch auf dem Theater, etwa in den Werken Hugo von Hofmannsthals und Bert Brechts. Vor diesem Hintergrund reden wir mit Karin Wieland über „Cabaret“ und Brecht, und über Rollenbilder und Lebensläufe der Weimarer Republik.

Im Anschluss an das Gespräch besteht die Möglichkeit, um 19:30 auf der Großen Bühne „Cabaret“ zu sehen. Tickets und weitere Infos hier.

(III) Marina Münkler & Volker Weiß

„Polarisierungsunternehmer, Revolutionäre und Ganoven“
Am 3. Dezember um 18:00 in der Diskothek
Brecht liefert mit dem „Ui“ eine Parabel über Populismus, Inszenierung und Gewalt. Die Titelfigur im „Ui“ propagiert, was auch deren reales Vorbild einer krisengeschüttelten Gesellschaft der 1930er Jahre versprach: Umbruch, Aufbruch, und nicht zuletzt Revolution. Ein Gespräch über Brechts Parabel, über die politischen Dynamiken der Weimarer Zeit sowie über Rhetoriken der Gegenwart, wie sie sich politisch inszenieren und programmatisch darstellen. Marina Münkler, Professorin für Germanistik an der TU Dresden, hat sich vielfach mit Narrativen des gesellschaftlichen Wandels auseinandergesetzt, sowohl historisch-literarisch als auch aktuell, nicht zuletzt in „Abschied vom Abstieg“ 2019. Der Historiker und Publizist Volker Weiß hat mit „Die autoritäre Revolution“ Geschichte und Gegenwart der Neuen Rechten und des neuen Rechtspopulismus und seiner Strategien analysiert.

Im Anschluss an das Gespräch besteht die Möglichkeit, um 19:30 auf der Großen Bühne „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ zu sehen. Tickets und weitere Infos hier.

(IV) Philipp Staab & Joseph Vogl

„Anpassung oder Revolution
Am 18. März 2024 um 20:00 im Foyer 1
Im vierten Gespräch der Reihe, „Anpassung oder Revolution“, begrüßen wir zwei Gäste und ihre viel diskutierten Positionen aus jüngster Zeit: Philipp Staab und Joseph Vogl. Der Soziologe Philipp Staab, Professor für Soziologie der Zukunft der Arbeit an der Humboldt-Universität Berlin, plädiert in seinem Buch „Anpassung“ (2022) für eine gesellschaftlich-ökonomische Anpassung der Lebensweisen an Krisenfaktoren wie u.a. Klimawandel und Energiekrise. Diese neuen Gegebenheiten sollten die Leitmotive in Politik, Arbeits- und Lebenswelt definieren, und nicht länger Modelle wie die Annahme eines steten Wachstums oder das Primat der Selbstentfaltung.
Mit den Mentalitäten, Dynamiken und Regeln, die das Wirtschaftssystem des Kapitalismus geprägt hat und fortwährend weiterentwickelt, setzt sich auch der Literaturwissenschaftler Joseph Vogl auseinander, etwa in „Kapitalismus und Ressentiment“ 2023. Gleichzeitig beschäftigt sich Vogl, der bis zu seiner Emeritierung in diesem Herbst die Professur für Neuere deutsche Literatur- und Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität in Berlin innehatte, mit den enormen Affekten sowohl in ablehnender als auch euphorischer Richtung, die der Kapitalismus historisch freigesetzt hat und nach wie vor freisetzt.

Im abschließenden Gespräch der Reihe diskutiert Jens Bisky mit seinen Gästen: Welche Affekte werden gegenwärtig freigesetzt? Und welche Leitmuster werden die Gesellschaft in Zukunft bestimmen?