Verblendung
Impulse zu „Die Maßnahme / Die Perser“
Zwei Eckpfeiler der Theatergeschichte, entstanden zu und geprägt von extremen Zeiten. Zwei Zeitstücke, und zwei Lehrstücke auf ihre je eigene Art. „Die Perser“, das älteste bekannte vollständig erhaltene Drama und eine der wenigen antiken Tragödien, die reales Geschehen behandeln, sowie „Die Maßnahme“, die prominente Zusammenarbeit von Bertolt Brecht und Hanns Eisler als Modell für Brechts Lehrstück-Theorie. Uraufgeführt 472 v. Christus in einem Athen, das gezeichnet war von der Belagerung durch die Perser acht Jahre zuvor, und uraufgeführt 1930 in Berlin, getragen von diversen Chören der Arbeiterbewegung. Während „Die Maßnahme“ geprägt ist von der politisch hoch erhitzten Zeit der Weimarer Republik, hallt in den „Persern“ die Erfahrung der Schlacht von Salamis nach, die als die bis dahin größte und verlustreichste militärische Auseinandersetzung der Menschheit gilt.
Den sogenannten „Perser-Schutt“ als Trümmerschicht, die aus der persischen Belagerung resultiert, finden die Archäologen heute in Athen. Auf diesen Trümmern, seelisch und real, baut Aischylos, der auf Seiten der Griechen an der Schlacht von Salamis beteiligt war, sein Drama auf. Er beschreibt den imposanten Sieg der Griechen, und er propagiert die Vorteile der griechischen Demokratie gegenüber der persischen Monarchie des Großkönigs. Die Erfahrung des gemeinsamen Sieges über einen stark überlegenen Gegner war impulsgebend für ein gesamt-griechisches Bewusstsein, das ist dem Stück deutlich anzumerken. Kontrastiert wird das mit einem zutiefst empathischen Perspektiv-Wechsel, indem Aischylos das Stück an den persischen Hof verlegt: Der griechische Sieg bricht sich im ungeheuren Leid der Perser. Gleichzeitig wird die Hybris der Perser betont, die sich siegesgewiss in eine enorme Menschen- und Materialschlacht begaben. Ein deutliches Ausrufezeichen an das Athener Publikum, dass keine Größe von Dauer sein muss — erst recht nicht, wenn sie in die Verblendung entgleitet.
Markantes Zeichen für das individuelle Leid ist die Litanei der Namen, die Aischylos’ Drama strukturiert — zu Beginn, zum Schluss und zentral im Botenbericht. Eine gänzlich andere Perspektive geben Brecht und Eisler in der „Maßnahme“, die nicht zuletzt auch eine Feier der Anonymität bedeutet. Ebensowenig, wie es in der „Maßnahme“ substantielle Zweifel oder Ambivalenzen gibt, darf es Namen und Individuen geben. Im Gegenteil: Maskierung und Tarnung ist Pflicht, die Entindividualisierung ist Leitprogramm. Die entsprechende Szene ist mit „Die Auslöschung“ überschrieben. Für das als gerecht empfundene Fernziel sind im Nahbereich einige Maximen nicht zu halten. Das Vergehen des jungen Genossen besteht nicht zuletzt auch in seiner Menschlichkeit: Nachdem er die Maske wieder abgenommen hatte, wurde sichtbar, dass er ein Mensch geworden war, sagen die Agitatoren. Ecce homo. Und sie bringen ihn um.
Wenn „Die Perser“ die Möglichkeit der Reflexion und der Reue formuliert, ist „Die Maßnahme“ deren strikte Ausblendung im Kampf für eine Sache: eine quasi-religiöse Disziplinierungsmaschine, angeleitet von einer unangreifbaren, allgegenwärtigen Instanz, als deren Verkörperung der Kontrollchor über allem schwebt: „Die Partei hat tausend Augen.“ Brecht und Eisler hatten „Die Maßnahme“ nach dem Zweiten Weltkrieg gesperrt. Mit der Aufführung am Berliner Ensemble 1997 ist sie wieder zugänglich. In der Spielzeit „Woher Wohin“, die sich mit Fragen der gesellschaftlichen und zeitgeschichtlichen Entwicklungen auseinandersetzt, zeigen wir „Die Maßnahme“ als Zeitdokument einer Epoche in Dialog mit einem Schlüsselwerk, das die europäische (Geistes-)Geschichte mit formulierte. Zwei Texte, die sehr verschieden die Frage nach der Wirkung politischer Ideen und dem Bewusstsein individuellen Leids entwickeln — im Spannungsfeld zwischen Humanismus und Ideologie, zwischen der Bedeutung einer Idee und dem Wert des Individuums.
Den sogenannten „Perser-Schutt“ als Trümmerschicht, die aus der persischen Belagerung resultiert, finden die Archäologen heute in Athen. Auf diesen Trümmern, seelisch und real, baut Aischylos, der auf Seiten der Griechen an der Schlacht von Salamis beteiligt war, sein Drama auf. Er beschreibt den imposanten Sieg der Griechen, und er propagiert die Vorteile der griechischen Demokratie gegenüber der persischen Monarchie des Großkönigs. Die Erfahrung des gemeinsamen Sieges über einen stark überlegenen Gegner war impulsgebend für ein gesamt-griechisches Bewusstsein, das ist dem Stück deutlich anzumerken. Kontrastiert wird das mit einem zutiefst empathischen Perspektiv-Wechsel, indem Aischylos das Stück an den persischen Hof verlegt: Der griechische Sieg bricht sich im ungeheuren Leid der Perser. Gleichzeitig wird die Hybris der Perser betont, die sich siegesgewiss in eine enorme Menschen- und Materialschlacht begaben. Ein deutliches Ausrufezeichen an das Athener Publikum, dass keine Größe von Dauer sein muss — erst recht nicht, wenn sie in die Verblendung entgleitet.
Markantes Zeichen für das individuelle Leid ist die Litanei der Namen, die Aischylos’ Drama strukturiert — zu Beginn, zum Schluss und zentral im Botenbericht. Eine gänzlich andere Perspektive geben Brecht und Eisler in der „Maßnahme“, die nicht zuletzt auch eine Feier der Anonymität bedeutet. Ebensowenig, wie es in der „Maßnahme“ substantielle Zweifel oder Ambivalenzen gibt, darf es Namen und Individuen geben. Im Gegenteil: Maskierung und Tarnung ist Pflicht, die Entindividualisierung ist Leitprogramm. Die entsprechende Szene ist mit „Die Auslöschung“ überschrieben. Für das als gerecht empfundene Fernziel sind im Nahbereich einige Maximen nicht zu halten. Das Vergehen des jungen Genossen besteht nicht zuletzt auch in seiner Menschlichkeit: Nachdem er die Maske wieder abgenommen hatte, wurde sichtbar, dass er ein Mensch geworden war, sagen die Agitatoren. Ecce homo. Und sie bringen ihn um.
Wenn „Die Perser“ die Möglichkeit der Reflexion und der Reue formuliert, ist „Die Maßnahme“ deren strikte Ausblendung im Kampf für eine Sache: eine quasi-religiöse Disziplinierungsmaschine, angeleitet von einer unangreifbaren, allgegenwärtigen Instanz, als deren Verkörperung der Kontrollchor über allem schwebt: „Die Partei hat tausend Augen.“ Brecht und Eisler hatten „Die Maßnahme“ nach dem Zweiten Weltkrieg gesperrt. Mit der Aufführung am Berliner Ensemble 1997 ist sie wieder zugänglich. In der Spielzeit „Woher Wohin“, die sich mit Fragen der gesellschaftlichen und zeitgeschichtlichen Entwicklungen auseinandersetzt, zeigen wir „Die Maßnahme“ als Zeitdokument einer Epoche in Dialog mit einem Schlüsselwerk, das die europäische (Geistes-)Geschichte mit formulierte. Zwei Texte, die sehr verschieden die Frage nach der Wirkung politischer Ideen und dem Bewusstsein individuellen Leids entwickeln — im Spannungsfeld zwischen Humanismus und Ideologie, zwischen der Bedeutung einer Idee und dem Wert des Individuums.
Expertengespräche
Die Radikalität der Gedanken und die Radikalisierung der Wirklichkeit. Erzählungen vom Kommunismus und ihr Verhältnis zur Realität.
Zum Abschluss der begleitenden Veranstaltungen war Dr. Jens Bisky (Süddeutsche Zeitung) am 12.1. im Gespräch mit Gerd Koenen, der jüngst „Die Farbe Rot“ vorgelegt hat, eine weit gefasste Analyse des Kommunismus in seinen historischen Entwicklungen, Bedingungen und Folgen. mehr lesen
Die grauenhafte Unbedingtheit. Der deutsche Linksextremismus und „Die Maßnahme“
Am 22.11.17 sprach der Publizist Willi Winkler über die Ideologie- und Gewalt-Dynamik der RAF. „Die Maßnahme“ gehörte zu den Texten, die innerhalb der RAF stark diskutiert wurden. mehr lesen
„Die Maßnahme“. Realität und Fiktion.
Vor dem Hintergrund der „Maßnahme“ war der Osteuropa-Historiker und Publizist Prof. Karl Schlögel am 9.12.17 im Gespräch mit Dr. Jens Bisky (Süddeutsche Zeitung). mehr lesen
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Rückblick
Das Mandat der Gewissheit. Zum Selbstverständnis kommunistischer Herrschaft im 20. Jahrhundert
Prof. Martin Sabrow, der jüngst eine vielbeachtete Honecker-Biographie vorgelegt hat, sprach am 1. April 2017 über das Verhältnis zwischen Einzelnem, Partei und Gesellschaft in der Auffassung der KP und ihrer Funktionäre. Den Audiomitschnitt des Vortrags zum Nachhören hier.
Die Partei hat tausend Augen.
Im Vorfeld der Vorstellung am 6. Mai 2017 fand ein 45-minütiger Vortrag zu: Das Lehrstück und die politische Religion: „Die Maßnahme“ im Spannungsfeld zwischen liturgischen und totalitären Strukturen in der Diskothek statt.
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Seid gewarnt, so tief fällt, wer sich zu hoch hinaufschraubt! / Denn der Hochmut, geht seine Saat auf, bringt höchste Erträge / An reiner Verblendung, die man bald erntet in Tränen.
Die Perser
Interviews
In Anlehnung an den Fragebogen, den Brecht und Eisler zur Uraufführung der „Maßnahme“ 1920 verteilten, haben wir Mitglieder unseres Gesangschores der „Maßnahme“ befragt zu ihren Eindrücken und Gedanken über das Stück.
Die Maßnahme
Vier Agitatoren annoncieren vor dem Kontrollchor der Kommunistischen Partei den Tod eines jungen Genossen. Sie berichten, warum sie ihn während einer Hintergrund-Aktion in China erschossen haben. Anhand verschiedener Situationen, in denen sie jeweils den jungen Genossen selber darstellen, zeigen sie sein Verhalten — und warum sie zur „Maßnahme“ der Erschießung gegriffen haben. Der Kontrollchor ist einverstanden, die Revolution kann weitermarschieren.
Die Perser
Vor dem Königspalast des Xerxes in Susa warten die Ältesten der Perser auf die Rückkehr der Männer, die nach Europa ausgezogen sind, um die griechischen Städte zu erobern, allen voran Athen. In die Erwartung des sicheren Sieges mischt sich die Unsicherheit ausbleibender Nachrichten. Atossa, die Mutter des Xerxes, berichtet von einem seltsamen Traum. Als ein Bote erscheint, wird die ruckhaltlose Niederlage zum Fakt: Namen über Namen der gestorbenen Perser und ihrer Verbündeten, die der Bote vermeldet, lassen klar werden, dass kaum jemand zurückkehren wird. Einer der wenigen Rückkehrer ist Xerxes — aber sein Reich ist ein anderes geworden. Er hat es vertan.