Wolken.Heim

WIR SIND BEI UNS.
WIR SIND BEI UNS ZUHAUS.
Stimmen kreisen. Sie formulieren, sie suchen, sie wissen. Sie addieren sich zu Vermutungen, Behauptungen und Gewissheiten. Aufbrüche und Abgrenzungen werden beschworen. Es geht durch Epochen, Denkweisen und Kanonisierungen. Es geht um Theorien, und es geht um die Tat. Immer neue Versatzstücke entspinnen sich, etwas zu fassen und zu erklären; Versatzstücke, sich seiner selbst zu vergewissern. Sie umkreisen die Frage, was das Deutsche ist und die Besonderheit der deutschen Nation.  „Wolken.Heim“ ist eine Collage über die Frage der Identität (oder der Identitäten?) als eine große Gleichzeitigkeit verschiedener Epochen und Denkweisen, hoher Gedanken und überholter Theorien. Eine Collage ist der Text nicht nur inhaltlich, sondern auch handwerklich. Elfriede Jelinek kompiliert Texte von Hölderlin bis Heidegger, von Fichte bis zur RAF.    
Eine starke Sehnsucht ist in der Sprache und in den Sprechenden; immer wieder geht es um das Beschwören erhoffter Aufbrüche und erwarteter Entdeckungen ebenso wie um die Abgrenzung zum Anderen. Ein unendliches Reden stellt sich ein, ein Dräuen und Raunen. Voller Hoffnung und mitunter verzweifelt, sehr ernsthaft und zuweilen sehr abschätzig, unheimlich und zuweilen auch sehr komisch. Jelinek zitiert nicht nur, sie führt fort, spinnt weiter, parodiert und bricht. Am Ende gerät das Sprechen immer wieder ins Stottern. Die Suche nach Einheitlichkeit und Zusammenhang führt immer wieder in die diffuse Unmöglichkeit dieser Dinge: Ein Stimmenreich als ein Archiv der deutschen Seele.

Mit „Wolken.Heim“ aus dem Jahr 1988, Elfriede Jelineks großem Durchbruch als Theaterautorin, eröffnet die neu erbaute Diskothek. Intendant Enrico Lübbe setzt damit nach „Rechnitz (Der Würgeengel)“ und „Die Schutzflehenden / Die Schutzbefohlenen“ die Beschäftigung mit der Literaturnobelpreisträgerin und bedeutendsten deutschsprachigen Dramatikerin der Gegenwart fort.     

Der Maler Titus Schade, ein bildender Künstler, der zu den exponiertesten jungen Vertretern der „Leipziger Schule“ zählt, arbeitet mit dieser Produktion zum ersten Mal im Theaterbereich. Der Absolvent der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig und Meisterschüler von Neo Rauch hat in Zusammenarbeit mit Marialena Lapata, der stellvertretenden Ausstattungsleiterin des Schauspiel Leipzig, den Bühnenraum erarbeitet: Auf Basis seines Bildes „Kiosk“ und unter Rückgriff auf die Motivwelten Schades entstand der Raum für „Wolken.Heim“.
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Pressestimmen

F.A.Z
Irene Bazinger, 18.11.17, © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv
„Es wird im Chor gesprochen und getobt und – „Fremde wie wir“ – volksliedhaft gesungen, zärtlich manches tote Tier gestreichelt, hektisch in alten Büchern geblättert, zu fünft ein einzelnes Bett bevölkert: gemütlich wie bekiffte Hippies. Mitunter ertönen gespenstische Glockenschläge, dann erstarrt dieses treudeutsche Quintett verängstigt, als wüsste es, dass seine Zeit der „Übermenschen“ begrenzt ist. Nichts in Enrico Lübbes so intelligenter wie unterhaltsamer Inszenierung wirkt aufgesetzt, alle Ereignisse und Energien von den akustischen Raffinessen bis zur phantasievollen Wanderlust sind organisch an das Stück gekoppelt. Und das tut beiden richtig gut.“
LVZ
„Metaphorisch gräbt die Inszenierung gelungen im Boden deutscher Identität und zieht eine vergnügliche zweite Spielebene in das Textrauschen ein. [...] Der Leipziger Maler Titus Schade hat das Bühnenbild entworfen. Häuser mit klaren Linien, getragen von mathematischer Präzision. Ordentlich wirkt das, steril, fast trutzig. Ein gelungenes Sinnbild für die Grenze zwischen dem Innen und dem Außen, für die Wand zwischen denen, die dazugehören, und den Fremden.“
Mitteldeutscher Rundfunk
„Das Bühnenbild schafft eine wunderbare Bühnenverwandlung. [...] Enrico Lübbe veranstaltet darin ein Bildertheater, einen Budenzauber vom Feinsten.“
kultura-extra
„Jelineks Text klingt wie eine einzige politische Rechtfertigungsrede der Deutschen für Fremdenfeindlichkeit und innere Abgrenzungsbestrebungen und ist somit nah an den Aussagen heutiger AfD- und Pegida-Redner. Das ist besonders wirkungsvoll, da diese Aussagen fast unmerklich und nur indirekt durch die Autorin gebrochen werden. […] Zur Identifikation der Deutschen mit dem Boden und den aus ihm erwachenden Mythen und untoten Helden wie Barbarossa oder den Nibelungen komponiert Lübbe starke Bilder. […] Fast alles wirkt hier wie aus einem Lese- und Bilderbuch der deutschen Romantik entsprungen. Düster und biedermeierlich auch das Bühnenbild, das nach Gemälden des Leipziger Malers Titus Schade gebaut wurde.“
mephisto 97.6
„Das Bühnenbild stammt von dem Leipziger Künstler Titus Schade. […] Wolken.Heim blickt hinter die bürgerliche Fassade in die Innenräume. Hinter dem Fachwerkhaus kommt ein Wald zum Vorschein, Nebel quillt in den Zuschauerraum. Welch passendes Motiv! Immerhin verkörpert dieses kleine, undurchsichtige Stück Wald perfekt die Ambivalenz aus märchenhafter Abenteuerlust und Furcht einflößendem Orientierungsverlust bei der eigenen Sinnsuche. Ganz nebenbei werden hier gekonnt romantische Ideale aufs Korn genommen.“
Mannheimer Morgen
„Spannendes Bildertheater“
Freie Presse
„Lübbe gelingt es, eine ironische Leichtigkeit zu erzeugen, in die jene Gedankenbausteine verpackt sind, die nach dem 'Wir-sind-hier' oder dem 'Hier-bleiben-wir' suchen. [...] Optisch raunen Fachwerk, deutscher Wald und Biedermeier, akustisch Romantik und Wagner und die nationalen Selbstfindungsversuche vor der Gründung des Nationalstaates.“
Leipzgis Neue Seiten
„Enrico Lübbe zeigt betont tiefsinnig und unterhaltsam Elfriede Jelineks Florettkampf gegen das Spießertum und die Wohnzimmerrassisten, gegen die philisterhaften Bildungsbürger und Wutbürger, gegen Pelzmäntel-Yuppies und geistige Brandstifter. [...] [Er] lässt mit Pantomime und Klangmustern im Stile Robert Wilsons die Doppelbödigkeit ausloten und nähert sich dem deutschen Nebelwaldmythos.“
Theater der Zeit
„Lübbe hat für seine Inszenierung von Jelineks Text-Tableau ein prägnantes Bild gefunden, das mehr ist als bloße Bühnenkulisse: eine postapokalyptische Vision! [...] Das hat zweifellos eine suggestive Kraft, ist als ästhetischer Entwurf überzeugend.“
FRIZZ
„Lübbe [gelingt] eine eindrucksvolle Inszenierung, an die man sich noch lange erinnern wird. Beängstigend gut.“
Premiere am 16. November 2017
Leipziger Nachspiel

Spieldauer

ca. 1:20, keine Pause

Team

Bühne: Titus Schade,
Dramaturgie: Torsten Buß
Licht: Carsten Rüger

Trailer

Titus Schade im Gespräch

Der Maler Titus Schade zeichnet verantwortlich für das Bühnenbild. Im Video-Interview spricht er über seine erste Arbeit für ein Theater.

Titus Schades Bühnenbild für „Wolken.Heim“ im MdbK

Im Juli und August 2018 war der originale Bühnenraum, den Titus Schade und Marialena Lapata zur Inszenierung „Wolken.Heim“ entworfen haben, im Museum der Bildenden Künste Leipzig aufgebaut und als begehbare Installation zu erleben. Weitere Informatio­nen hier.

Im Rahmen der zwölften Verleihung des Deutschen Theaterpreises DER FAUST am 3. November 2017 im Schauspiel Leipzig erhielt Elfriede Jelinek den Preis für das Lebenswerk.

E-Book

Das Stück „Wolken.Heim.“ von Elfriede Jelinek ist als E-Book erschienen. Mehr dazu hier.