Auftragswerk des Schauspiel Leipzig

vendetta vendetta (UA)

(a bunch of opfersongs)
Thomas Köck
Es gibt viele Spielarten der Rache: gefühlte Rache, gedachte Rache, geplante Rache, kollektive Rache, digitale Rache. Gesungene Rache gibt es auch. Seit versucht wird, die Rache aus dem direkten Miteinander auszuklammern, lebt sie umso stärker in der Kunst und in der Oper weiter. Berühmtestes Beispiel vielleicht: die Arie „Der Hölle Rache“ aus Mozarts „Zauberflöte“. Wie oft aber singt ein Chor von der Rache? In „vendetta vendetta“ wird er es tun.
Rache ist als Gefühl vermutlich so alt wie die Menschheit selbst. Immer wieder wurde versucht, die Rache zu ersetzen durch ein neues System des Rechts. Aber deswegen war die Rache nicht unbedingt verschwunden, ab dann war sie höchstens verdrängt. Was ist da passiert? Und welchen Platz hat sie heute in der Gesellschaft? Oder besser gefragt: Wo ist ihr Platz heute? Und wie geht es uns so, in einem Leben mit ohne Rache?
Verändert haben sich über die Jahrhunderte nicht nur Gesellschaften und deren Normen, sondern auch die Formen, Emotionen auszudrücken oder einzuhegen. Emotionen über die Musik auszuleben und in ihr zu erleben, gehört dabei zu den Ur-Techniken von Gesellschaft, genauso wie Formen des Ritus oder der Religion.
Eine parallele Geschichte des Rechts trifft in „vendetta vendetta“ auf eine parallele Geschichte der Polyphonie. Der Chor singt an gegen die Vereinzelung, aber auch: gegen die Gleichmacherei. Das gemeinsame Singen als „simultane Andersartigkeit“ und doch auch: als Abhängigkeit voneinander.
Und weil es sich mit der Geschichte verhält wie mit der Musik, liegt die Wahrheit nicht in der linearen Abfolge von Fakten (Tönen), sondern in der parallelen Bewegung ebendieser: Viele Geschichten, viele Melodien, die nicht ohneeinander erzählt werden können.

Thomas Köck, der sich in seinen Texten stetig auseinandersetzt mit den Folgen und Verwicklungen des menschlichen Handelns, ökonomisch, ökologisch und global, verfolgt in seinem neuen Text und in seiner Inszenierung für das Schauspiel Leipzig Kraft und Geschichte der Emotionen: Gemeinsam mit dem Musiker Andreas Spechtl und mit einem Chor aus Menschen, die im Leipzig der Gegenwart leben, befragt er die Ambivalenz von Recht und Rache, von Gründungs- und Opfermythen.

Thomas Köck zählt zu den führenden Stimmen der deutschsprachigen Gegenwartsdramatik. Für seine Theatertexte wurde er mehrfach ausgezeichnet, u. a. zweimal mit dem Mülheimer Dramatikerpreis: 2018 für „paradies spielen (abendland. ein abgesang)“, den dritten Teil seiner Klimatrilogie, und 2019 für „atlas“, uraufgeführt als Auftragswerk in der Diskothek des Schauspiel Leipzig. Mit dem Musiker Andreas Spechtl, u. a. auch Sänger, Gitarrist und Songwriter der Gruppe Ja, Panik, verbindet ihn eine enge Zusammenarbeit. Martin Miotk, der u. a. am Residenztheater München und an der Deutschen Oper Berlin arbeitete, gestaltet Bühnenraum und Kostüme.



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Pressestimmen

DLF Kultur (Fazit)
„Mit der Zeit kommt ein Opernchor zu den drei Mythenfiguren hinzu, der eine ganz andere Ebene ins Spiel bringt. Er ist von Andreas Spechtl sehr schön komponiert und sehr anspruchsvoll und durchzieht von da an und mit einem mythisch antikischen Grundton das ganze Spiel.“
Freie Presse
„Die drei Ensembleschauspieler Amal Keller, Dirk Lange und Denis Petković teilen sich die Rolle der Lucretia, das berühmte mythische Unschuldsopfer, das dem Volk Anlass zur Rache am Tyrannen gab. Ihnen steht ein neunköpfiger Chor Leipziger Damen gegenüber, der virtuos synchron und polyphon Stimmen zum Thema beisteuert, Choreinstudierung und Musik: Köck und ‚Ja, Panik‘-Musiker Andreas Spechtl.“
KULTURA-EXTRA
„Auch in Köcks Text geht es um Recht oder Rache. Ansonsten noch um die erodierende Mitte, Kränkungen, Wut, den Sturm auf das Capitol, Coronademos und Shitstorms im Internet. Kann es eine Rechtsprechung ohne Opfer geben, oder werden Opferlämmer und Sündenböcke weiterhin gebraucht? Die Frage bewegt die drei Rache- und Opfergöttinnen, die sich nacheinander immer wieder von der hohen Treppe in den Innenraum des Theatersaals stürzen. Dazu singt der Chor in mittelalterlichen bis futuristischen Kostümen formvollendet seine Vendetta-Choräle.“
LVZ
„Die ritualisierte Rache […] lässt sich durchaus als differenziertes Rechtssystem verstehen. Während heute Rache als archaisch und Recht als gerecht angesehen wird. Um die Eindeutigkeit dieser Sichtweise aufzubrechen, schließt die Inszenierung geschickt Mythos mit Moderne kurz, ‚Medea‘ mit Social Media. Das funktioniert überraschend gut, um etwa das Phänomen des Hasses im Netz zu analysieren, dem die Mechanismen zur Auflösung von Konflikten fehlen. […] Der verdichtende Inszenierungs-Mechanismus erinnert an die klugen Bestseller-Comics von Liv Strömquist, die ebenfalls komplexe philosophische, psychologische oder soziologische Sachverhalte in pointierten Szenen veranschaulicht. Auf der Bühne gelingt das mit schlüssigen Bildern, frechem Humor und gut dosiertem spielerischen Übermut.“
MDR Kultur
„Thomas Köck verbindet in ‚vendetta vendetta (a bunch of opfersongs)‘ am Leipziger Schauspiel wieder geschickt zahlreiche komplexe und auch relevante Fragen. [...] Wer genau hinhört, findet in dieser Produktion tiefgreifende Gedanken.“
Premiere am 12. Februar 2022
Hinterbühne

Spieldauer

ca. 1:20, keine Pause

In dieser Inszenierung wird Stroboskoplicht verwendet.

Besetzung

Tina Bolle, Sabine Brückner, Jennifer Demmel, Noa Flach, Anne Kerlin, Katharina Nürnberger, Carmen Orschinski, Robin Heleen Rauhut als Chor

Team

Inszenierung & Choreinstudierung: Thomas Köck
Musik & Choreinstudierung: Andreas Spechtl
Bühne und Kostüme: Martin Miotk
Video: Kai Schadeberg
Licht: Jörn Langkabel
Theaterpädagogische Betreuung: Nele Hoffmann

Trailer

Einführung