Hotel Pink Lulu (UA)

Die Ersatzwelt
von Emre Akal
// Gewinnerstück des exil-DramatikerInnenpreises 2020

Joachim hat sich für eine norwegische Blockhütte entschieden. Drinnen knistert das Feuer im Kamin, während draußen der Schnee leise rieselt. In einem rosa Zimmer komplett aus Plüsch hat sich Claudia eingerichtet. Sie genießt eine gut bestückte Sushi-Bahn, die um ihr Bett aus Marshmallows kreist, zudem einen Cocktail-Service je nach Stimmungslage. Dagegen punktet die syrische Pistazienfarm von Ayla und Najib mit einer malerischen Landschaft, mit dem beruhigenden Rauschen von Wind in den Blättern und einem Bach neben der Veranda. Für jede*n ist das Zimmer im Hotel Pink Lulu so gestaltet wie in den jeweils kühnsten Phantasien erträumt. Dazu die Gesellschaft eines Lulu-Avatars, und kein Bedürfnis der Gäste bleibt ungestillt. Alle Wünsche werden erfüllt, noch bevor sie richtig ins Bewusstsein vordringen. Zurück bleiben die Befriedigten unter VR-Brillen in einer wohligen digitalen Comfortzone für den analogen Winterschlaf. Wunschlos, bedürfnislos, willenlos. So der Idealfall.
Wo sich jedoch Zweifel am Idyll regen oder Fragen nach einem höheren Sinn aufkommen, greift die staatliche Agentur für zeitliche Überbrückung entschieden durch. Schließlich hat nicht jede*r das Glück, in diesen virtuellen Genuss zu kommen. Manche haben ein anderes Los gezogen und müssen hart für das digitale Exil Pink Lulu schuften, um es am Laufen zu halten — ein stabiles System unter Kontrolle. Doch als sich auch bei einer Lulu der rosarote Algorithmus zu einem realen Gefühl verwächst, droht dem Programm der Kurzschluss.

2018 wurde der exil-DramatikerInnenpreis der WIENER WORTSTAETTEN erstmals in Kooperation mit dem Schauspiel Leipzig ausgeschrieben und mit einer Uraufführung in der Diskothek verbunden. Er wird alle zwei Jahre vergeben.

Emre Akal arbeitet als Autor u. a. am Maxim Gorki Theater Berlin und am Landestheater Niederösterreich. Inszenierungen, teilweise auch eigener Texte, realisierte er am Bakirköy Belediye Tiyatrosu und Tatavla Sahnesi in Istanbul, im HochX in München sowie am Theater in der Drachengasse in Wien. Seine interdisziplinären Regiearbeiten bewegen sich im Feld von Performance, Choreographie und Bildkomposition. Für sein Stück Ostwind erhielt er 2015 den Tanz- und Theaterpreis der Stadt Stuttgart, für den Theatertext Hotel Pink Lulu – Die Ersatzwelt 2020 den exil-DramatikerInnenpreis der Wiener Wortstätten. Als Regisseur wurde er 2020 mit dem Förderpreis für Theater der Stadt München ausgezeichnet. Gemeinsam mit 85 weiteren Künstler*innen aus ganz Deutschland gründete Akal im November 2019 das Ayşe X Staatstheater, ein Zukunftsentwurf für die institutionalisierte Theaterlandschaft. Derzeit ist Emre Akal Artist in Residence an den Münchner Kammerspielen und dort als Autor und als Regisseur in unterschiedlichen Projekten tätig.

Mit „Hotel Pink Lulu“ von Emre Akal setzt das Schauspiel Leipzig seine Zusammenarbeit mit Regisseurin Pia Richter fort. Für ihre Inszenierung von „Ein Berg, viele“ von Magdalena Schrefel, das weiterhin im Repertoire der Diskothek zu sehen ist, folgte eine Einladung zum Heidelberger Stückemarkt. Richters Arbeiten führten sie außerdem an das Landestheater Schwaben, das Landestheater Tübingen, das Theater Regensburg und das Theater Koblenz.

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Pressestimmen

nachtkritik
„Regisseurin Pia Richter [greift] in die Vollen. Sie lässt zunächst Julia Nussbaumer ein quietschiges Bühnenbild und ebenso verspielte Kostüme anfertigen. Die Bühne ist ein riesiges, von Neonlicht umgrenztes Bällebad, Rutsche inklusive. [...]. Wirklich mit Wucht sind die Darstellenden bei der Sache und machen die Bühne zu ihrem Spielzimmer. Gut geben Annett Sawallisch und Thomas Braungardt ihrer [sic!] Robotertypen mit Bewegungen, die an Hydraulikantriebe erinnern. Christoph Müller spielt eine berührende Kassiererin auf dem Abstellgleis, die im Lulu-Hotel eben nicht drankommt. Patrick Isermeyer ist als Möchtergern-Norweger herrlich als zu großer Junge zu sehen, der sich in eine Schaukel zwängt, über den Schnee feixt und mit Rolle vorwärts ins Bällebad springt. Einige kraftvolle Chorszenen gibt ein Latex-Trio mit Hundemasken, dem Paulina Bittner angehört. Sie geht auch in ihrer Solorolle als naschsüchtige 25-Jährige voll auf, hat den Candycrush-Blick voll drauf und legt mal einfach so zwei sehr gute musikalische Nummer hin.“
Süddeutsche Zeitung
„Mit welch eigenartiger Fantasie die Regisseurin Pia Richter diese VR-Welt in ein Bällebad mit drei Becken und Rutsche verlegt, hat ihre Reize (Bühne und lustige Kostüme: Julia Nussbaumer). Als digitale Hostesse fungiert Lulu 6.0, die als KI ständig dazulernt, staunend über ‚so viel Mensch, diese Biomasse‘. In Leipzig gibt es sie gleich in zweifacher Ausführung mit rosa Strapsen, humanroboterhaft nett gespielt von Annett Sawallisch und Thomas Braungardt. […] Das System dahinter erweist sich als ausbeuterisch, elitär und böse. Es lässt die Kassiererin Fatma (die anrührendste Figur, gespielt von Christoph Müller) gar nicht erst rein – und andere nicht mehr in die Analogwelt raus.“
Theater heute
„Paulina Bittner (Claudia), Patrick Isermeyer (Joachim), Denis Grafe (Nadjib) und Eidin Jalali (Ayla) stürzen sich mit handwerklicher Präzision, bewundernswerter Körperspannung und prachtvollen Outfits in die weißen Ballfluten und sind bald kaum weniger künstlich als die begleitenden Lulus. Allein Christoph Müllers Fatma, die das Bälleballett aus dem Hintergrund beobachtet und am Ende an der Rampe kommentiert, wahrt im Arbeitskittel ein menschliches Antlitz, bevor sie an einer Gräte erstickt.“
Premiere am 19. November 2021

Spieldauer

1:25, keine Pause

Besetzung

Eidin Jalali als Ayla
Denis Grafe als Nadjib, Lulu 7.0
Patrick Isermeyer als Joachim
Paulina Bittner als Claudia aus Köln
Anne Cathrin Buhtz als Stimme aus dem Flurlautsprecher

Team

Autor: Emre Akal
Bühne & Kostüme: Julia Nussbaumer
Dramaturgie: Georg Mellert
Licht: Thomas Kalz
Video: Fabian Polinski
Theaterpädagische Betreuung: Babette Büchele

Trailer