Die Rättin

nach dem Roman von Günter Grass
für die Bühne bearbeitet von Claudia Bauer und Matthias Döpke
Vom „Ultemosch“, dem Untergang der Menschheit, berichtet die Rättin. Denn die Menschen hätten sich ihrer Lebensgrundlagen beraubt und schließlich selbst vernichtet. Und dabei hätten die Ratten sogar noch versucht, die Menschen zu warnen. Der einzelne Mann, der sich im Dialog mit jener Rättin wähnt, kämpft gegen ihre Erzählung an, denn er ist sich sicher: Noch ist es nicht zu spät für die Menschen. Noch gibt es Hoffnung, es muss nur alles besser werden. Existiert die Rättin ohnehin nur in seinen Träumen? Sie selbst behauptet das Gegenteil: Auf den Trümmern der Menschheit würden Ratten nun eine solidarische Zivilisation aufbauen. Doch können sie nicht leugnen, dass ihnen die Menschen, jetzt, wo sie weg sind, durchaus fehlen.

Der posthumanen Vision zum Trotz entwickelt der Mann seine eigenen Geschichten. Er lässt fünf Frauen auf einem Forschungsschiff in See stechen, um die Quallendichte als Indikator für das gestörte ökologische Gleichgewicht zu messen, dann aber die versunkene Stadt Vineta als Ort weiblicher Utopie zu finden. Er entwirft ein Filmskript für einen gewissen Oskar Matzerath, der zum Medienzar avanciert ist und zum 107. Geburtstag seiner Großmutter in die Kaschubei reist. In dem als Stummfilm geplanten Werk mit dem Titel „Grimms Wälder“ formiert sich unverhofft Widerstand: Angestiftet durch die Kanzlerkinder Johannes und Greta, die aus freien Stücken in den sterbenden Wald gelaufen sind, schmieden die Märchenfiguren einen Plan, um eine neue und gute Regierung zu installieren. Denn sie wissen, dass mit den Wäldern auch die Märchen sterben werden. Doch so einfach und bescheiden sich ihre Forderungen nach guter Luft, reinem Wasser und gesunden Früchten lesen, so kompliziert scheint es jenseits der Märchenwelt zu sein, sie zu erfüllen.

Zeit seines Lebens meldete sich Günter Grass (1927–2015) immer wieder als politischer Moralist zu Wort. Der Roman „Die Blechtrommel“ begründete 1959 seinen Weltruhm. „Die Rättin“ erschien 1986, wenige Monate vor der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. 1999 wurde Günter Grass der Nobelpreis für Literatur verliehen.
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Pressestimmen

DLF Kultur (Fazit)
„‚Die Rättin‘ wirkt wie das Stück der Stunde. [...] Andreas Auerbach hat eine ganz großartige Bühne gebaut. [...] Da sind sehr schöne Bilder entstanden, auch wieder zusammen mit der Videoprojektion. Das sieht aus wie expressionistischer deutscher Film – alles auch relativ komisch. Die Rättin beziehungsweise ihr Rattenvolk treten auf in barocken Kostümen mit ausgepolsterten Schultern. Das ist ein sehr barocker, ein sehr kunstvoller Hofstaat, der sich da anschickt, die Erde zu erobern. Sie sind unentwegt mit Chorproben beschäftigt, eben das Requiem auf die Menschheit zu singen [...] Claudia Bauers Inszenierung ist ausgesprochen bilderstark. Das sind wirklich sehr schöne, großartige Bildsetzungen.“
Frizz Magazin Leipzig
„Regisseurin Claudia Bauer und der Dramaturg Matthias Döpke haben ‚Die Rättin‘ (1986) von Günter Grass wiederbelebt. Was für eine Auferstehung! Alles ist gleichzeitig da, ein herrlich ausbalanciertes Stück. Es ist sakral, ernst, und traurig, gespenstisch und surreal, überdreht, musikalisch, lustig, fiebrig und zart. […] Ein Rausch, ein großartiges Gesamtkunstwerk!“
Kreuzer
„[W]ie schon in ihrer berauschenden Adaption von ‚Meister und Margarita‘ ist die Regisseurin [Claudia Bauer] mehr an einem funktionierenden Theaterabend denn detailgetreuer Textwiedergabe interessiert. Und schafft einen Reigen von ineinandergeblendeten Szenen, Projektionen und Chorauftritten.“
KULTURA EXTRA
„[D]ie Regisseurin [entwickelt] mal wieder ein für ihre Inszenierungen typisches bildstarkes Theater aus Raum, Kostüm, Text und Sound. Die Bühne von Andreas Auerbach ist zunächst düster und leer bis auf eine hineingeschobene Himmelstreppe auf der Mensch/Erzähler Tilo Krügel zunächst nackt nach den Sternen greift. [...] Neben den RattendarstellerInnen Julia Berke, Patrick Isermeyer, Amal Keller, Teresa Schergaut und Hubert Wild, die auch die Crew der Meereskundlerinnen verkörpern, tritt Roman Kanonik als gealterter Oskar Matzerath in Kurzhosen und Blechtrommel auf. Er ist nun Filmproduzent und entwickelt mit dem Erzähler ein Stummfilmprojekt über den deutschen Wald, der sogleich als dicke Stämme vom Schnürboden schwebt. Mittels Livekamera gedreht und auf die Raumkapsel projiziert entsteht dieser Film hinter der Bühne mit den die Märchenfiguren darstellenden Leipziger Schauspielstudierenden, die auch einen bezaubernden Auftritt als tänzelnder Medusenchor haben.“
Kunst und Technik
„Theater wie es sein kann: Bildgewaltig. Philosophisch. Diskussionswürdig. […] [E]in Kommentar zur Zeit entsteht. Den stellt Regisseurin Claudia Bauer farben-, tempo- und abwechslungsreich sehr kunstvoll auf die große Schauhaus-Bühne [sic!].“
luhze
„Claudia Bauer [schafft es] mit einer Leichtigkeit von Witz zu Schwere zu wechseln. Die Spannungskurve flaut nie ab und sie zeigt: Klimaapelle können auch zum Lachen bringen.“
LVZ
„In der ‚Rättin‘ überwiegt aber das Trennende, die Untergangsstimmung. Bildhaft mit langen, priesterhaften Gewändern umgesetzt, mit der Rosenkranz betenden Matzerath-Großmutter Anna Koljaiczek und vor allem musikalisch unter der Leitung von Hubert Wild, der als Countertenor hoch komisch den einsamen Menschen mit der Kraft seiner Stimmt niederdrückt. Vor allem aber schafft Wild mit der Orgel und seinem Ratten-Chor (Julia Berke, Patrick Isermeyer, Amal Keller, Julia Preuß und Teresa Schergaut), mit rhythmisch fein austarierten Sprech- und Gesangsparts eine sinistre Atmosphäre. Requiems, von Verdi und Brahms, bilden den Abgesang auf das ‚Menschengeschlecht‘.“
MDR Kultur
„Formal und künstlerisch ein fulminanter Abend – besser hätte die Spielzeit nicht beginnen können. […] ‚Die Rättin‘ ist ein Theaterfest […] das muss man schon gesehen haben!“
Mitteldeutsche Zeitung
„Alles ist gleichzeitig da, ein herrlich ausbalanciertes Stück. Es ist traurig und gespenstisch, surreal und lustig. Im skurrilen Trash gelingt eine Abrechnung mit den wirtschaftlichen Sachzwängen, die zur Zerstörung der Welt führen. Das Bühnenbild mit Raumschiff und Bäumen erzeugt in Verbindung mit Live-Musik und karnevalesken Kostümen eine pralle Optik: Licht, Nebel und Atmosphäre. [...] Ein Rausch, ein großartiges Gesamtkunstwerk!“
nachtkritik
„Statt Literaturtheater vom Blatt zu servieren, entfacht sie [Regisseurin Claudia Bauer] einmal mehr einen originellen Theaterrausch. [...] In der Raummitte steht erhöht ein Kubus, in dem sich der letzte Mensch die meiste Zeit aufhält, auf dem Laufband abstrampelt oder am Bildschirm hängt. Diesen verbleibenden Vertreter seiner Art gibt ein starker Tilo Krügel, der zwischen fahrig und fanatisch zu changieren versteht – und nie verloren wirkt, egal ob er nun ganz allein nackt auf der Bühne steht oder gegen die Rättin streitet. [...] [E]ine quasi-sakrale Atmosphäre erzeugt auch die Musik, die Hubert Wild zusammengestellt hat und live spielt, wenn er nicht gerade Ratte ist. Er musiziert auf einer mobilen E-Orgel, dirigiert den Rattenchor, der das Requiem und andere sich klassisch anhörende Lieder intoniert, und singt auch selbst.“
nd
„Zum Spielzeitauftakt des Schauspiels Leipzig bringt die Hausregisseurin [Claudia Bauer] den Roman ‚Die Rättin‘ von Günter Grass bildstark und opulent auf die Bühne. [...] Gerade im Einsatz des Chores spielt die bereits drei Mal zum Berliner Theatertreffen eingeladene Regisseurin mit der Überreizung des Publikums. Die Inszenierung gelingt als Wimmelbild aus inszenatorischen Einfällen und Verweisen auf Grass’sche Werke oder aktuelle Debatten. So schließt die märchenhafte Klimabewegung den ‚ewig wach küssenden Prinzen‘ vorerst aus, da der ohne Konsens bewusstlose Frauen küsst. Ironie, Ernst und Komik verbinden sich in der zweistündigen Inszenierung zu einem übersprudelnden Theaterabend. Darin gibt es keinen tröstlichen oder versöhnlichen Ton. Es ist eine Einladung, im Fabulieren grausiger Zukünfte unruhig zu bleiben.“
Süddeutsche Zeitung
„Leicht genommen und mit Witz serviert zeigt sich das, was bei der Lektüre des Romans so albern oder prätentiös wirkt, als höchst anschlussfähig zur aktuellen Cross-Culture. Trash und Drama vertragen sich beim Thema Mensch-Entsorgung eben besonders gut. Claudia Bauers flotte Show der Nachdenklichkeit versäumt es aber nicht, die entscheidenden Sätze der Gesellschaftskritik so hervorzuheben, dass sie der Hybris des Weiter-so zu einem drohenden Klang verhelfen. Und sie zieht jene Formen der Männlichkeit ins Lächerliche, die nichts wirklich beherrscht, außer den Glauben zu verbreiten, sie hätte alles im Griff. Der letzte Mann in seiner Raumkapsel ist der klassische Typ heutiger Politiker und Konsumenten, die alle relevanten Informationen zur Verfügung haben, nur um sie zu ignorieren. Während er im Weltall schreit: ‚Ich bin verrückt nach Leben‘, tanzt Rattus norvegicus eine neue solidarische Weltordnung zum Ende' des Anthropozäns.“
Premiere am 08. Oktober 2021
Dernière am 13. Mai 2024

Große Bühne


Spieldauer

ca. 2:00

In dieser Inszenierung wird Stroboskoplicht verwendet.

Besetzung

Tilo Krügel als Mann
Julia Berke als Rättin / Damroka
Annett Sawallisch als Rättin / Damroka (ab Spielzeit 2022/23)
Patrick Isermeyer als Rättin / Maschinistin
Amal Keller als Rättin / Alte
Julia Preuß als Rättin / Meereskundlerin
Teresa Schergaut als Rättin / Steuermännin
Roman Kanonik als Oskar Matzerath
Hubert Wild als Rättin / Anna Koljaiczek
Adrian Djokić als Hänsel
Paula Vogel als Gretel
Laura Storz als Hexe
Ronja Oehler als Dornröschen
Leonard Meschter als Rübezahl
Ellen Neuser als Das Mädchen mit den abgeschlagenen Händen
Ronja Rath als Rotkäppchen

Team

Kostüme: Vanessa Rust
Dramaturgie: Matthias Döpke
Licht: Veit-Rüdiger Griess
Live-Video: Kai Schadeberg, Fabian Polinski
Audiodeskription: Florian Eib, Beatrix Hermens, Renate Lehmann, Ina Klose
Theaterpädagische Betreuung: Amelie Gohla

Trailer

Einführung